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Schweiz

 

Schweiz und die EU

Weltwoche Ausgabe 2000-51 vom 21.12.2000 Ressort: Schweiz Seite 21

Nehmen wir doch die Engländer zum Vorbild

Schweizer Politiker schlagen der EU Reformmodelle vor, die unser Land nie akzeptieren würde

Von Beat Kappeler

Unmögliches hat Bundespräsident Adolf Ogi bei seinem Abschied von der EU-Bühne den in Nizza uneinig versammelten europäischen Staats- und Regierungschefs vorgeschlagen.

Das schweizerische Modell des Bundesstaates sei die angemessene Lösung, welche die EU bei ihrer Reform anstreben müsse, behauptete er. Dabei wird ausgerechnet die Schweiz nie einer Union beitreten, die sich als Bundesstaat versteht.
Ogi ist mit seinen Vorstellungen nicht allein: In einer Stellungnahme zum Reformgipfel von Nizza äusserte sich Carlo Schmid, Innerrhoder Standesherr und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats, ähnlich wie der Bundespräsident: Nach ihm wären die Grundlagen für einen Beitritt der Schweiz erst gegeben, wenn sich die EU zu einem europäischen Bundesstaat mit einem Zweikammersystem entwickelt hätte.

Ogi und Schmid haben eine einfache Grundregel bundesstaatlicher Verfassung nicht begriffen. Ein Bundesstaat hat die Kompetenz der Kompetenz. Das heisst, dass eines seiner Organe mit Mehrheits-beschluss festlegen kann, was der Bundesstaat alles tun darf. In der Schweiz braucht es dafür das doppelte Mehr von Volk und Kantonen. In der Bundesrepublik und in Frankreich beispielsweise können die Parlamentskammern allein schon die Kompetenzordnung des Nationalstaates bestimmen. In der Schweiz hat man 1847 den Staatenbündlern, die sich gegen die Zentralisierung wehrten, den Bundesstaat mit seinen Mehrheitsent-scheiden im Sonderbundeskrieg mit Kanonen aufgezwungen.

Wenn nun die EU ein Bundesstaat wird, können entweder der Gipfel der Staatschefs oder Ministerrat und EU-Parlament oder eine europäische Volksabstimmung verbindlich und mit Mehrheit festlegen, was Brüssel alles regeln darf. Eine unglaubliche Vorstellung, dass diese vollständige EU-Integrationsstufe dem schweizerischen Bundespräsidenten und einem wichtigen Aussenpolitiker im Parlament vorschwebt. In einer solcherart verfassten Union wäre es jederzeit möglich - wie die kürzlich durchgeführten Sitzungen des Rats gezeigt haben -, die Steuern hinaufzusetzen, das Bankgeheimnis abzuschaffen und militärische Einsatztruppen aufzustellen.

Eine solche bundesstaatliche Zwangsordnung liesse den kleinen Staaten noch weniger Raum als heute. Auch wenn der europäische Bundesstaat zu seiner Legitimation schliesslich Volksabstimmungen einführte, würde das kontinentale Bundesvolk ähnliche Maximalwünsche verwirklichen. Ein Beispiel: Die Mehrheit der Europäer bezieht mehr Subventionen aus der EU-Kasse, als sie Beiträge leistet. Was hindert sie also daran, die Schweiz und Deutschland als Netto-Zahler mit wechselnden Mehrheiten zu Milchkühen zu machen? Der Politologe Larry Siedentop zeichnet in seinem spannenden Werk «Democracy in Europe» nach, dass in allen Bundesstaaten die Politiker heikle Entscheide immer auf die nächsthöhere Ebene weiterreichten, um sich durchzusetzen. Auch dies kann in der Schweiz selbst seit 1848 in allen Politikbereichen fest-gestellt werden - noch fast jeder Problemstau wurde durch eine neu eingerichtete Bundeskompetenz angegangen.

Höchste Gremien ohne Konzepte

Die beiden Schweizer Spitzenpolitiker verkennen also nicht nur die Grundregeln der Verfassungsgebung, sie belegen auch einmal mehr, wie konzeptlos die höchsten Gremien unseres Staates agieren. Wie kann der Bundespräsident den Europäern eine Maximallösung empfehlen, während Aussenminister Joseph Deiss, der sachte auf eine Annäherung der Schweiz an die EU hinarbeitet, nach der Konferenz von Nizza sich befriedigt über die nur langsamen Integrationsfortschritte zeigt? Die Nizza-Rede des Bundespräsidenten wurde denn auch keineswegs von der zuständigen Regierung in Bern beschlossen, wie es einer derart wichtigen Gelegenheit entsprochen hätte. Immerhin war die Schweiz erstmals als «designiertes Mitglied» eingeladen. Es war, wie es im Departement Ogi heisst, «eine Rede des Bundespräsidenten».

Das diplomatische Feingefühl hat der Schweizer Vertreter in Nizza ebenfalls vergessen, wenn er ein Land vertritt, das zwar nicht beitreten will, das aber den ratlosen und leicht zerstrittenen europäischen Spitzen schlankweg den Bundesstaat andreht.

Mit Schwung eintreten

Falsche Weltsicht aber bringt falsche Entscheide. Carlo Schmid findet, vor der nächsten EU-Konferenz von 2004 «sind wir nicht im Zugzwang». Dannzumal werden die Europäer erneut versuchen, wichtige Fragen nur noch mit Mehrheitsentscheiden durchzudrücken - also auf den Bundesstaat hinzuwirken. Schmid meint offenbar wie viele andere Schweizer Politiker, dass ein Beitritt dann leichter sei. Das Gegenteil ist wahr. Wenn die Schweiz vor solch schicksalsträchtigen Verfestigungen eintreten würde, könnte sie mit einem Veto diese Souveränitätsbeschneidung eben gerade verhindern. Die Schweiz könnte nur noch diese kurzen Jahre bis 2004, zusammen übrigens mit den gleich gesinnten Engländern, Dänen und Luxemburgern, in vielen Fragen das Veto gegen weitere Verrechtlichungen und Machtkonzentrationen in Brüssel einlegen.

Das hängt natürlich vom Bild des Endstandes europäischer Integration ab, dem man anhängt. Die EU hat nach Ansicht vieler die wünschbare Dichte erreicht - der Binnenraum ist frei für Personen und Handel, die Normen, Bildungsgänge, Grundrechte sind harmonisiert oder anerkannt, einige wichtige Sozialrechte eingeführt, die Währung ist gemeinsam. Eine freiwillige Eingreiftruppe ist im Aufbau. Wichtiger noch: In der EU können sich künftig einige Staaten viel stärker, andere schwächer integrieren, und die andern dürfen sie nicht mehr mit dem Veto daran hindern. Das ist genau der Faden, aus welchem die Verfassung der EU gewoben ist. Sie ist ein Staatengebilde eigenen Rechts, kein Abklatsch früherer bundesstaatlicher Nationswerdung. In eine solche EU kann die Schweiz mit Schwung eintreten. Mehr noch: Sie sollte dies so rasch wie möglich tun, um mit dem Veto zu verhindern, dass der Faden zum Strang degeneriert.

Dazu allerdings müsste die schweizerische Regierung wissen, welches Europa sie will, denn fast jeden Tag finden in Brüssel Ministerräte statt. Deren Beschlüsse müssen dann zu Hause ausgeführt werden, von einer gesicherten Parlamentsmehrheit der Regierungen. Da geht es nicht mehr an, dass der eine Bundesrat dies, der andere jenes erzählt und dass Mitglieder einer aussenpolitischen Parlamentskommission dem Aussenminister in einer zentralen Frage widersprechen. Nehmen wir doch die Engländer zum Vorbild: Sie treten in Brüssel oder Nizza mit der gleichen englischen Idee für Europa auf, ob sie nun Thatcher, Major oder Blair heissen, die Dänen auch, die Franzosen auch. Wenn die Schweiz dies nicht auch schafft, dann, nur dann, sollte sie draussen bleiben. Dies aber auf ewig.

Bild: Welches Europa? Die Annäherung ist schwierig / Foto: Elisabeth Günthard/Keystone

Info: Europafahne, Schweizerfahne
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