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Chancen und Probleme der Erweiterung der Europäischen Union
im Allgemeinen und für Studierende im Besonderen
Die europäische Einigung hat historische Bedeutung. Ihre
Verwirklichung stellt eines der wichtigsten politischen
Anliegen der Republik dar. Der Beitritt der wirtschaftlich
noch nicht so starken Staaten zur Europäischen Union wird
dazu beitragen, diesen weiterzuhelfen. Je rascher diese
Staaten das westeuropäische Wirtschaftsniveau erreichen,
desto besser ist das auch für Österreich. Das hätte sehr
rasch auch positive soziale, ökologische und politische
Folgen. Lange Übergangsfristen könnten eine europäische
Zweiklassengesellschaft schaffen, die nur neue politische
Probleme schafft.
Österreich ist, das zeigen alle Wirtschaftsdaten,
tatsächlich einer der größten Gewinner des
Einigungsprozesses. Das wird auch in den nächsten Jahren so
bleiben. Unter anderem konnte in einer Studie des
ehemaligen Erweiterungsbeauftragten der Bundesregierung,
Dr. Erhard Busek, gezeigt werden, dass durch die Öffnung
des Wirtschaftsraumes zum Osten hin mehr als 20.000
Arbeitsplätze in Österreich neu geschaffen bzw. erhalten
werden konnten.
Die Verhandlungen für die EU-Erweiterung gehen gerade in
eine entscheidende Phase. Unter anderem werden heikle
Fragen wie jene zu Umweltstandards und Agrarpolitik
verhandelt. Probleme wie etwa das Anschwellen des
Güterverkehrs in der Europäischen Union oder bilaterale
Konflikte können nur gemeinsam, im Dialog mit den
betreffenden Beitrittsländern, dauerhaft gelöst werden.
Eine Bundesregierung, die dieses Schlüsselprojekt gefährdet
hat, hat sich selbst disqualifiziert. Angesichts der sich
täglich widersprechenden Aussagen von ÖVP und FPÖ ist es an
der Zeit, Klarheit zu schaffen. Die FPÖ ist eine zutiefst
anti-europäische Partei, mit der keine
Einigungsfortschritte zu erzielen sein werden. Ein Veto
gegen die Tschechische Republik würde weder die atomare
Gefahr an Österreichs Grenzen verringern, noch zu einer
Streichung der strittigen Beneš-Dekrete aus der
tschechischen Verfassung führen. Der Beitrittsprozess darf
nicht ausgerechnet bei jenem Land stocken oder gar
scheitern, das zu den ersten Opfern Hitlers gehört. Die
Grünen sagen daher ein klares und eindeutiges Ja zum
europäischen Integrationsprozess.
Ein friedliches Miteinander aller Länder Europas war über
Jahrhunderte undenkbar. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
eröffnet jetzt die Erweiterung der Europäischen Union die
große Chance, dauerhaften Frieden auf einem gemeinsamen
rechtlichen und politischen Fundament zu schaffen. Die
zügige Einigung Europas auf Grundlage eines gemeinsamen
Bekenntnisses zu demokratischen Werten, das Hintanstellen
nationaler Interessen und Ressentiments und eine
konstruktive Aufarbeitung der dabei auftretenden Probleme
sind das wichtigste europäische Projekt der nächsten Jahre.
Auch die soziale und ökologische Dimension der Erweiterung
darf nicht vernachlässigt werden: Die Grünen treten für die
Entwicklung bzw. Umsetzung einer Europäischen Sozialunion
mit einer gemeinsamen Beschäftigungs- und Steuerpolitik
ein. Wir fordern eine europäische Solidarität, um die
Reformstaaten dabei zu unterstützen, die ökologischen und
sozialen Standards zu erhöhen. Die dafür von den
EU-Mitgliedsstaaten vorgesehenen Mittel sind unzureichend.
Die Debatte in Österreich über den finanziellen Beitrag zur
Erweiterung ist kleingeistig, provinziell und egoistisch
und wird der historischen Dimension in keiner Weise
gerecht.
Aber auch für Studierende bringt die EU-Erweiterung nicht
zu unterschätzende Vorteile: Mit EU-Geldern geförderte
studentische Austauschprogramme (LEONARDO, SOKRATES,
ERASMUS) können nach der Integration von StudentInnen aus
fast allen europäischen Staaten genützt werden. Die Zahl
der outgoing- und incoming students wird sich vergrößern,
die Auswahl an Zielländern wird bunter und damit die
Viefalt an Europas Universitäten höher. Gerade
hochqualifizierte Arbeitskräfte mit höchstem
Bildungsabschluss sind sicherlich die ersten, die von einer
wechselseitigen, uneingeschränkten Mobilität von
ArbeitnehmerInnen profitieren werden. Auch für Wissenschaft
und Forschung werden sich Impulse durch das Zusammenwachsen
des Kontinents ergeben, deren langfristig positive
Auswirkungen noch gar nicht abschätzbar sind.
Alexander van der Bellen,
Bundessprecher der Grünen
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