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Erklärung von Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel im NR zur EU-Erweiterung
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Erklärung von Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel im NR zur
EU-Erweiterung
Hohes Haus! Meine Damen und Herren!
Ich finde diese Tafeln gut - sie bringen ein freundliches „Willkommen“ in allen neuen
Sprachen zum Ausdruck, und das ist eigentlich ein sehr sympathisches Zeichen des Hohen
Hauses an die neuen Mitglieder!
Meine Damen und Herren! Verehrte Botschafter! Verehrte Zuseher an den Fernsehschirmen!
Manche behaupten, Europa habe es verlernt, zu feiern, und manche sagen, dass Europa sich
eigentlich nicht anders verhält als eine etwas überdimensionierte Firma, die nur an
Zehntelprozent Gewinn und Verlust, an Nettozahler-Interessen und anderes denkt. Wer vor
vier Tagen, am Samstag vergangener Woche - und auch am Freitag vorher, am 30. April -
erlebt hat, wie die Menschen getanzt haben, sich gefreut haben - in den neuen
Mitgliedsländern, aber auch bei uns in den Grenzregionen -, der spürt, dass das nicht
stimmt.
Ich selbst hatte die Freude, am Freitag gemeinsam mit dem slowenischen Amtskollegen Toni
Rop auf dem Gipfel im Dreiländereck zu stehen, wo wenige Kilometer entfernt der Isonzo,
das Isonzo-Tal liegt, wo im Ersten Weltkrieg 1,5 Millionen Menschen gestorben sind - und es
ist eine besondere Freude, zu spüren, dass sich so etwas nie mehr wiederholen kann!
Es war am gleichen Abend in Preßburg/Bratislava, eine große Freude und es war spürbar,
dass die Menschen empfinden, dass die Slowaken zum ersten Mal in ihrer Geschichte frei
entscheiden können, demokratisch entschieden haben, dass sie diesem gemeinsamen
Europa angehören wollten, dass sie nicht mehr fremdbestimmt sind von Budapest oder von
Wien oder von Prag - auch nicht, bitte, von Brüssel. Das ist eine große Freude und viel
wichtiger als so manches Thema, das in diesen Tagen so besonders hochgespielt wird.
Oder: Als ich mit Péter Medgyessy, dem ungarischen Ministerpräsidenten, in Sopronpuszta,
in der Nähe von Ödenburg, noch einmal symbolisch den Stacheldraht durchschnitten habe,
dann war das sicherlich eine Geste, aber es war auch viel mehr: Es war wirklich die
Heimkehr in Europa, es war die Wiedervereinigung Europas spürbar!
Und ich sage ganz offen: Darüber sollten wir an einem Tag wie heute ein wenig reflektieren
und vielleicht die innenpolitischen Diskussionen ein bisschen zurückstellen.
Vor zehn Jahren hat Peter Sloterdijk, ein großer europäischer Philosoph, der ja teilweise in
Österreich lebt, ein Bändchen geschrieben - ich habe es mitgenommen -, welches absolut
lesenswert ist. Für diejenigen, die es interessiert, es heißt: „Falls Europa erwacht“ und ist im
Suhrkamp-Verlag erschienen. Lesens- und nachdenkenswert ist, was Sloterdijk damals
visionär vorausgesagt hat: Europa sei eine Weltgegend, in der auf eigentümliche Weise nach
der Wahrheit und nach der Güte des Lebens gefragt werden muss. Die Europäer müssten
sich als Rebellen gegen die Misere empfinden. Und sobald Europa wieder erwacht - so auch
der Titel des Buches -, müssten die Wahrheitsfragen wieder in die große Politik zurück.
Europas tiefster Gedanke: dass man der Verachtung widerstehen muss.
Das sind auch jene Fragen, die uns alle berühren: Friede, Freiheit, soziale Gerechtigkeit,
wirtschaftliche Leistung. Und ein solches Europa - und ich sage sogar, nur ein solches
Europa - hat Gewicht als Global Player, wird eine Friedensmacht sein, wird ein einheitlicher,
funktionierender Wirtschaftsraum sein und eine soziale und politische Einheit!
Und jetzt reibt sich dieser große Essay, den ich für wichtig und für bewegend halte, was
vielleicht manche mit mir teilen, mit jenen Themen, die wir heute schon besprochen haben.
Eine junge Journalisten hat kürzlich unter dem Titel „Provinz“ geschrieben: Es sei provinziell,
die kleinen Fragen aufzuzeigen. - Ich glaube das überhaupt nicht!

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Auch die Neuen haben Themen, Ängste, Sorgen, die sie berühren, etwa den Ausverkauf ihrer
Heimat an die reichen Westeuropäer oder die Schutzmöglichkeiten für ihre Industrie, von der
befürchtet wird, dass sie nicht voll wettbewerbsfähig sei, oder auch der Identitätsverlust.
Und genauso wie wir deren Sorgen Ernst nehmen, sind auch die Sorgen der
Österreicherinnen und Österreicher ernst zu nehmen! Man muss eben beides sehen: Die
große Linie, das Ganze, aber auch die Themen, die jeden Einzelnen direkt berühren. Eine der
großen Fragen in diesen Tagen lautet natürlich: Sind und bleiben unsere Arbeitsplätze
sicher?
Sie haben schon Recht, Kollege Einem: Die Antwort „sieben Jahre Übergangsfrist für unseren
Arbeitsmarkt“ ist nicht die ganze Antwort, sie ist eine Teilantwort. Sie ist Ausdruck eines
befristeten Schutzinteresses, das die Sozialpartner legitimerweise ebenso verlangt haben wie
etwa die österreichische Bundesregierung. Wir sind übrigens am Anfang von den anderen 14
EU-Staaten - 13 waren es; die Deutschen waren ja auf unserer Seite - dafür sehr kritisiert
worden. Mittlerweile machen es alle, weil es eine richtige Maßnahme in Zeiten schwacher
Konjunktur ist.
Aber viel wichtiger ist es natürlich, dass wir die österreichischen Betriebe vorbereitet haben.
Österreich hat 2 Prozent der Wirtschaftskapazität der Union, aber 8 Prozent des Handels mit
den neuen Mitgliedsländern! Wir haben heute einen Handelsbilanzüberschuss von eineinhalb
Milliarden €. Und das sichert ja auch jene 60 000 Arbeitsplätze, die seit der Öffnung des
Eisernen Vorhangs bei uns entstanden sind. Die Perspektive, noch einmal 30 000 zusätzliche
Arbeitsplätze in Österreich schaffen zu können, ist eine Perspektive, die uns Hoffnung gibt
und um die zu verwirklichen wir gemeinsam arbeiten sollten.
Eine zweite Frage, die sehr ernst zu nehmen ist, lautet: Sind unsere Betriebe und unsere
Jobs konkurrenzfähig?
Ich bin Martin Bartenstein sehr dankbar: Die wahre Bedrohung der Arbeitsplätze kommt ja
nicht von den neuen Mitgliedern, sondern von China, von Indien, das heißt: die
Globalisierung! Und ich glaube, dass die Erweiterung der Europäischen Union eine Antwort,
eine richtige, faszinierende Antwort auf diese Globalisierung sein kann!
Unsere innerösterreichische Antwort heißt: den Steuerstandort verbessern! Wir wissen doch
alle - und Sie haben es selber auch kritisiert -: Wir haben ein zu hohes Steuerniveau, daher
haben wir mit unserer 3-Milliarden-€-Entlastung - die Hälfte davon für die Betriebe -
richtigerweise jene Voraussetzung geschaffen, damit die Voest weiter in Österreich
investiert, ebenso MAGNA, Mitterbauer von Miba und auch viele andere kleinere und mittlere
Betriebe. Darüber sollten wir uns gemeinsam freuen, denn das ist die Voraussetzung dafür,
auch in zehn Jahren die Vorteile dieser Wiedervereinigung Europas wahrnehmen zu können.
Wenn sich meine und unsere bayrischen Freunde ein bisschen ärgern, dass Österreich jetzt
so interessant ist, dass es schon 800 Anfrage gibt, dann ist das ja nicht ganz schlecht!
Wettbewerb ist auch im alten Europa, wenn man so will, etwas, was nicht abgewehrt werden
darf, sondern was ganz selbstverständlich ist.
Die Antwort an die Menschen in unseren Grenzregionen, die ja auch viele Sorgen hatten,
lautet - beweisbar, da vorige Woche publiziert -: In den letzten fünf Jahren sind
beispielsweise in den Grenzregionen des Burgenlandes und Kärntens zwischen 7 und 9
Prozent mehr Arbeitsplätze entstanden, in jenen Oberösterreichs und der Steiermark sogar
über 11 Prozent. Ich glaube, dass das richtige, konkrete Antworten sind, auf die wir
gemeinsam stolz sein können, weil dahinter die Arbeit und die Leistung der Unternehmer
und der Mitarbeiter in diesen Regionen steht.
Eine dritte Frage, für die natürlich vor allem der Infrastrukturminister und Vizekanzler
zuständig ist, lautet: Überrollt uns der Verkehr?

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Natürlich ist es richtig, was Peter Schieder gesagt hat, nämlich dass da seit der Ostöffnung
manches verabsäumt worden ist. Nur: die jetzige Antwort - und ich sage das, weil sich der
Minister ja nicht selber loben kann; und ich sage das ganz ungeniert, denn es stimmt, es ist
überprüfbar - lautet: Seit dem Jahre 2000 werden um 50 Prozent - die Hälfte! - mehr in
Schiene und Straße investiert als in der Zeit vor dem Jahr 2000. Das ist die konkrete
Antwort, und nicht die Rhetorik, nicht die Proteste gegen den Transit!
Und wenn Hubert Gorbach vorige Woche mit seinem italienischen Amtskollegen Pietro
Lunardi den Vertrag über den Bau des Brenner-Basistunnel unterzeichnet hat - 5 Milliarden
€, das größte Verkehrsprojekt überhaupt in der Geschichte! -, dann ist das die konkrete
Antwort, die unsere Bevölkerung von uns will.
Und wenn Hubert Gorbach vorige Woche gemeinsam mit den Sozialpartnern und mit dem
Vorstand der ÖBB eine ganz großartige Lösung für die Struktur der ÖBB und jetzt auch im
Dienstrecht zustande gebracht hat, dann ist das mindestens so spannend wie die
funktionierende Einführung der LKW-Maut, um die uns vielleicht andere europäische
Länder derzeit ein wenig beneiden.
Also: Konkrete Antworten auf die berechtigten Sorgen der Menschen!
Natürlich gab es auch die Frage: Kostet uns die Erweiterung zu viel?
Ich habe einmal gesagt, ich sei kein Erbsenzähler, denn in Wirklichkeit ist es eine Investition
in den Frieden, in die eigene Sicherheit, in unsere eigene Zukunft.
Aber ich sage auch dazu: Unser Brief, also jener Brief der Nettozahler betreffend Begrenzung
der Beiträge auf 1 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts bedeutet ohnedies, dass wir 25
Milliarden €, also 25 Prozent mehr als heute, ins EU-Budget einzahlen.
Und ich sage auch ganz offen: Ich sehe nicht ein, dass man nicht auch - genauso wie das die
nationalen Staaten ja auch in ihrem Budget machen müssen - genau überprüft, was wichtig,
was prioritär, was vielleicht nicht so wichtig ist. Außerdem stehen wir erst am Beginn der
Verhandlungen, und jeder weiß, dass wir am Ende der Verhandlungen einen Kompromiss
brauchen, weil wir ja letztlich Einstimmigkeit in diesen Bereichen erzielen müssen.
Es ist mir jedoch wichtig, dass auch diese Frage angesprochen wird und nicht einfach ein
lockeres Großmannstun vorherrscht, indem man sagt, es sei ganz gleich, wie viel etwas
kostet. Es ist unsere Aufgabe und Verpflichtung, nachzufragen: Wie viel Europa braucht es?
Was kostet es? Was ist zu finanzieren?
Eine ganze wichtige Frage der Menschen ist: Wie sicher sind wir nach der Erweiterung?
Darauf ist die österreichische Antwort - und das ist mehr als nur ein kleines Reförmchen, das
ist eine der ganz großen Reformen in dieser Periode -: Sicherheit aus einer Hand - Zoll,
Gendarmerie, Polizei zusammen im Innenministerium! Das alleine bringt 1 000 zusätzliche
Polizisten direkt auf die Straße, für die Sicherheit der Menschen. Das ist die richtige Antwort,
meine Damen und Herren!
Gleiches gilt für die grenzüberschreitende Kooperation. Ich danke den anwesenden
Botschaftern und den Politikern in ihren Ländern, dass wir den Menschenhändlern, den
Drogenhändlern, den Verbrechern, den organisierten Kriminellen gemeinsam das Handwerk
legen. Diese dürfen nicht die Ersten sein, die die Chancen des offenen Europa nützen. Wir
müssen ihnen die Hölle heiß machen, wir müssen ihnen das Leben deutlich erschweren! Und
Ernst Strasser hat den Auftrag, dies auch wirklich zu tun.
Meine Damen und Herren! Manche fragen: Werden wir in dieser erweiterten Union auch eine
Rolle spielen können? Werden wir gehört? plakatieren ja Sie von der SPÖ.

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Die meiner Überzeugung nach richtige Antwort ist: die besten Persönlichkeiten in die
relevanten Institutionen zu schicken! Und ich möchte schon anerkannt wissen und auch von
der Opposition einfordern, dass unser Franz Fischler, vor zehn Jahren nach Brüssel
geschickt, heute, nachdem Michel Barnier in die französische Regierung zurückgegangen ist,
für 90 Prozent des EU-Budgets verantwortlich, seine Sache großartig gemacht hat und in der
Europäischen Union gehört wird. Darauf können wir gemeinsam stolz sein!
Und auch die Außenministerin, die mit den Freunden aus den Nachbarländern die regionale
Partnerschaft initiiert hat, wird in Europa natürlich gehört. Wir spielen im Rahmen des
Verfassungskonvents genauso wie auch die Konventsmitglieder eine Rolle, die nicht
kleingeredet werden darf, meine Damen und Herren!
Daher zum Abschluss: Ich glaube, Österreich ist gut vorbereitet! Wir müssen in vielen
Bereichen aufpassen, damit wir die Chancen wirklich nützen können, aber ich glaube, dass
Österreich eine Stimme in Europa hat, gehört wird.
Vor allem zeigen die jüngsten Reporte, etwa eine internationale Studie, dass Österreich in
der jüngsten Bewertung der Weltwirtschaft weiter nach vorne gekommen ist. Wir haben
sogar die Schweiz überholt. Überlegen Sie nur, ob dies vor fünf oder zehn Jahren überhaupt
als denkmöglich angesehen wurde! Jetzt ist das, was vor zwanzig Jahren Utopie, vor zehn
Jahren ein heimlicher oder auch ausgesprochener Wunsch war, mit 1. Mai Wirklichkeit
geworden.
Europa ist zusammengewachsen, das zerrissene Herz Europas ist wieder eins! Sie seien
herzlich willkommen geheißen! Gemeinsam sind wir stärker!